Der Deli-Diebstahl

Gepacktes Reiserad in der rötlichen Morgendämmerung.

Deli: Riese & Müller Superdelite GT vario GX

Darf ich vorstellen: Rechts auf dem Bild ist Deli, treuer Begleiter auf 3000 km. Oben im Header ist zu sehen, was übrig blieb. Leider hatte ich es nur rund ein halbes Jahr, bevor es ungewollt andere Wege ging.

Letzten Oktober kaufte ich mir endlich ein Fahrrad ohne Kompromisse. Sauteuer, aber yolo 🥳 you only live once. Ein straßentaugliches Fully mit Doppelakku und einigen Extras wie Stollenreifen, längeren Federwegen, Drop Post und Frontgepäckträger. Ich machte einige kürzere Bikepacking-Touren und dann im April die lange Tour in den Ruhrpott, weiter nach Den Haag, dann die Nordseeküste hoch durch Friesland, am Meeresbusen vorbei nach Cuxhaven. Anschließend direkt nach Süden über Bremerhaven und Bremen zur Weser.

Eigentlich wollte ich noch die Weser hoch fahren, um zurück nach Hessen zu kommen. Daraus wurde leider nichts. Auf der Etappe, die durch Bremen führt, kam ich direkt an der Jugendherberge 🏩 in der Innenstadt vorbei. Gerade frisch renoviert, tolles Haus und nach der vorherigen Einöde mal eine Großstadt. Da dachte ich mir, toll, hier bleibe ich eine Nacht. Ein echtes Bett und eigene Dusche. Dazu noch eine Bar🍹 und Frühstücksbuffet, super👌. Es waren an diesem Tag zwar erst 50 km auf der Uhr, aber was soll's. 

Beim Einchecken fragte ich, wo ich das Rad abstellen kann: “Leider nicht im Fahrradkeller, da der noch voll Sachen steht von der Renovierung.” Daraufhin fragte ich, ob es vor der Herberge sicher sei. Man erwiderte mir ein nicht ganz selbstbewusstes “Ja”. “Ok, wo kann ich es aufladen?”. Ich hätte die beiden Akkus ins Foyer legen müssen. Auf's Zimmer dürfen sie nicht wegen dem Brandschutz. Das war mir aber zu unsicher im Foyer, da quasi jeder sie einfach so hätte im Vorbeigehen mitnehmen können. Da ich noch genug Saft in den Akkus hatte, weil die Tagesetappe doch recht kurz war, ließ ich sie im Rahmen und schloss das Rad mit zwei von der Versicherung anerkannten Schlössern direkt vorm Haupteingang der Herberge an einem Fahrradständer ab. Im Blickfeld einer Überwachungskamera. Etwas mulmig war's schon irgendwie, aber hey: zwei Schlösser, direkt vorm Eingang, beleuchtet, Kamera, “Ja, es ist sicher" von der Rezeption, nur bis morgen früh… und später am Tag noch viele Kilometer Bremen rausfahren und einen Übernachtungsplatz finden? Es wird schon gutgehen, wie die vielen Nächte zuvor auch.

Ich machte Bremen noch unsicher und genoss den Abend. Nachts um 1:30 Uhr war das Rad noch da. Also hoch auf's Zimmer und ab ins Bett.


Kurz nach 5 Uhr: Der AirTag meldet eine Bewegung (ich war aber noch am Schlafen).

6 Uhr: Ich schaue auf's Smartphone und bekomme ein mulmiges Gefühl.

Gegen 7 Uhr: Gepackt und fertig für den Tag gehe ich runter und bin einigermaßen geschockt als die Gewissheit kam, dass Deli weg ist. Was nun? Erstmal zur Rezeption und die Sache erzählt. Klar, auf zur Polizeiwache und Anzeige erstatten. Nach einer halben Stunde dann vor Ort hatte diese noch geschlossen – samstags machen sie später auf. Es gab eine Notruf-Klingel und eine normale. Bei der normalen gab's keine Reaktion. Kurz darauf kam ein Ukrainer um die Ecke, mit dem ich mich per Translate-App notdürftig verständigen konnte. Er suchte eine Frau und wunderte sich auch, dass die Wache geschlossen ist. Er betätigte dann den Notruf – es kam leider nur die Ansage, dass gerade keiner dran gehen kann 🤷🏻‍♀️. Also wieder die halbe Stunde zurück gelaufen zur Jugendherberge, die mir die Telefonnummer der Polizeiwache heraussuchte.

Ca. 10 Uhr: Eine Streife 🚓 kommt mit zwei Kommissaren vorbei, um mich abzuholen und um Deli per AirTag zu suchen. Verbrechersuche im Streifenwagen war definitiv für mich das Highlight des Tages. Also sind wir ca. 1,5 km gefahren, um dem AirTag nahe zu kommen. Leider sind die Dinger nicht so genau, dass man direkt sieht, wo das Fahrrad (oder der Tag, falls er schon entfernt wurde) stehen müsste. Wir standen vor einer alten Autowerkstatt mit Schaufenstern, in der innen verdächtige Vorhänge den Innenraum verbargen. Es hätte aber auch das Haus links oder rechts daneben sein können – oder der Hinterhof. Wir suchten zu dritt alles ab, kamen aber nie in den Nahfunkbereich, womit der AirTag zentimetergenau seinen Aufenthaltsort hätte preisgeben müssen. Ein Bild der Werkstatt und Standort mag ich hier nicht posten, um keinen Verdacht auf mögliche Unbeteiligte zu werfen. Für mich persönlich und für mein Gefühl stand mein Rad da hinterm Vorhang im Schaufenster. Irgendein anderes altes Rad war dort auch noch teilweise zu sehen. Es war das Naheliegendste und der Kopf rattert immer so lange, bis eine Lösung da ist.
Leider ist das mit der Polizei im echten Leben nicht so wie in manchen Filmen. Im echten Leben darf die Polizei nicht da rein (geklingelt haben sie, es machte aber niemand auf, klar). Einen Durchsuchungsbeschluss eines Richters bekommt man auch nicht mal eben so bei einem Fahrraddiebstahl. So ein AirTag ist dann wohl auch nicht Beweislast genug, um irgendwo privates eindringen zu dürfen - selbst für die Polizei.
Schlussendlich nahmen Sie meine Anzeige auf und brachten mich zurück zur Jugendherberge.

Radreisegepäck in Zimmer der Jugendherberge: Vorderrad, zwei Seitentachen, Fronttasche

Das hier musste nach Hause, ist aber ohne Fahrrad doch recht ungemütlich zu bewegen.

Koffer, Handtasche und Rucksack im Zimmer der Jugendherberge

Die Lösung war ein neuer Koffer. Den Rucksack hatte ich schon dabei und als Rolle auf dem Gepäckträger verwendet.

Mittags: Ich hatte nun ein paar Probleme: Wie geht's weiter? Nach Hause oder irgendwie mit Ersatzrad weiterreisen? Wie komme ich heim? Was ist mit der Versicherung? Ich musste telefonieren und organisieren. Zum Glück! Denn dadurch kam ich nicht ins Gefühl, dass irgendein Arsch mein Lieblingsrad gestohlen und meine Reise beendet hat. Also erstmal zu Hause angerufen, dann mit der Versicherung telefoniert. Ein Ersatzrad wäre mehr als schwierig zu finden gewesen. Ergo musste ich die Heimreise antreten. Aber wie macht man das mit dicken Seitentaschen, Fronttasche, Rucksack, Zelt und dem übrig gebliebenen Vorderrad? Jetzt schon fast am Samstag Nachmittag ist's eh schon zu spät für 500 km Heimreise. Nach einem längeren Gespräch mit der freundlichen Person an der Rezeption konnte ich doch noch eine weitere Nacht in der sonst sehr vollen Herberge bleiben. Vielen Dank!
Mir kamen zwei Ideen für's Gepäck: Entweder alles in einen großen Koffer 🧳 oder die Sachen per Post 📦 verschicken. Da die Post bereits geschlossen war und es eh sehr teuer geworden wäre, bin ich mit der S-Bahn quer durch Bremen in irgendeine Mall, um einen möglichst großen und billigen Koffer zu kaufen.

Tag #2: Die Strecke, mit der ich per Rad mehrere Tage gebraucht hätte, fuhr ich mit dem ICE und RegioExpress in wenigen Stunden. Ein paar Mitreisende ahnten schon, was los ist, als sie mich mit einem Vorderrad in der Hand am Bahnhof sahen.
Wie sich später herausstelle, übernahm die Versicherung das Taxi und die Bahnfahrt. Die nötige zweite Nacht in der Jugendherberge und den Koffer musste ich selbst bezahlen.

Screenshot auf dem Smartphone der FindMy-App. Gezeigt wird die Große Annenstraße in Bremen.

Tag #25: Find My-App. Große Annenstraße in Bremen.

Tag #25: Die Reise für Deli war noch nicht vorbei. Die Diebe haben den AirTag wohl nicht entdeckt. Ich hatte ihn hinter der Akku-Befestigung tief im Rahmen verankert. Nach 25 Tagen wechselte das Rad den Standort in Bremen selbst. Eventuell ein Sammelpunkt für den Weitertransport. Der Polizei meldete ich den Standortwechsel. Diesbezüglich kam nichts zurück. Ich bekam aber eine Antwort wegen der Überwachungskamera am Eingang der Jugendherberge. Verständlicherweise durfte ich aus Datenschutzgründen vor Ort am Tag des Diebstahls kein aufgenommenes Material anschauen. Die Beamten waren später nochmals in der Herberge, um dem nachzugehen. Leider kam dabei nichts heraus, da die Kamera – auch wieder aus datenschutzrechtlichen Gründen – wirklich nur den Eingang filmen darf.

Screenshot auf Smartphone: Find My-App. Smederevo bei Belgrad, Serbien.

Tag #27: Find My-App. Smederevo bei Belgrad, Serbien.

Tag #27: Wohl in einer Nacht- und Nebelaktion machte Deli sich auf den langen und beschwerlichen Weg in die Nähe von Belgrad in Serbien. Wow, 1570 km in nur zwei Tagen… und ich brauchte zuvor für die gleiche Strecke rund drei Wochen. Wenn man ganz rein zoomt in der App, scheint das Rad in einem Hinterhof zu stehen.

Screenshot auf dem Smartphone der FindMy-App. Gezeigt wird Podgorica in Montenegro

Tag #42: Find My-App. Podgorica in Montenegro

Tag #42: Anscheinend war Deli zu ruhelos und wollte es nochmals wissen und weiter. Ganze 450 km von Serbien nach Podgorica in Montenegro.

Jetzt, ganze vier Monate später, funkt der AirTag immer noch von der selben Stelle und Deli hat wohl das endgültige Ziel erreicht. Es steht bestimmt einfach ohne Beachtung herum, verstaubt und vegetiert dahin. Ohne Vorderrad mit gesperrtem Motor ist's Fahren auch nicht so einfach. Wahrscheinlich wurde es eh bereits ausgeschlachtet und in Montenegro liegt nur noch der Rahmen neben anderen, traurigen Metallteilen. Die Summe der Einzelteile machten es zu mehr als das: Mein Traumrad. Nun ist Deli zerlegt und somit irgendwie gestorben und ich habe damit abgeschlossen. Es ist zwar nur ein Rad und die Versicherung ersetzt es zum Glück. Es war aber meines und habe trotz der kurzen gemeinsamen Zeit viel erlebt. Bei einer so langen Solo-Reise ist's auch das Gefährt, was mit am Wichtigsten ist. Passanten passieren. Ansonsten gibt es nur das Selbst, das Equipment und das Rad, mit dem man (ich zumindest) eine Verbindung eingeht… und irgend so ein Drecksack, eher eine Bande von Schwerkriminellen, macht's einfach so kaputt. Jo, richtig gelesen: Schwerkriminell. Im Ermittlungsverfahren steht Besonders schwerer Fall des Diebstahls. Achso, mittlerweile wurde das Verfahren auch eingestellt.

Update Tag #148: Delis AirTag sendet immer noch vom selben Standort: Podgorica in Montenegro. Irgendwann wird die Batterie wohl leer sein…

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